Mieterstrom – Energiewende auf dem eigenen Dach?
Wir haben mit Solarforscher Michael Knoop über die Vor- und Nachteile von Mieterstrom gesprochen. Michael Knoop hat ein Modell entwickelt, um Kosten und Nutzen eines Mieterstromprojekts zu berechnen. Er forscht am Institut für Solarforschung in Hameln über elektrische Energiesysteme und erklärt uns, für wen Mieterstrom sinnvoll ist und was er selbst tut, um klimabewusster zu leben.
Darum gehts im Interview:
- Regionaler Ökostrom? Das müssen Sie über Mieterstrom wissen:
- Lohnt sich das? Mit dem Mieterstrom-Tool Kosten und Nutzen berechnen
- Was kann Mieterstrom im Kampf gegen den Klimawandel bewirken?
- Die Zukunft des Klimaschutz – und was heute schon möglich ist
- Fazit: Kleine Lösung für zu großes Problem
Regionaler Ökostrom? Das müssen Sie über Mieterstrom wissen:
Janika Kemmerer (Energieheld): Lieber Herr Knoop, was genau ist eigentlich Mieterstrom?
Michael Knoop (ISFH): Der Begriff Mieterstrom hat sich erst in den letzten Jahren etabliert und bezeichnet die Belieferung von Mietern oder Eigentumswohnungsbesitzern in größeren Wohngebäuden mit vor Ort erzeugtem Strom z.B. aus Photovoltaik (PV)-Anlagen. Den zur Deckung des übrigen Strombedarfes benötigten Reststrom bezieht der Mieterstrom-Anbieter – der zugleich zum Energieversorger wird – aus dem Verteilnetz und verkauft diesen ebenso wie den lokal generierten Strom an die teilnehmenden Verbraucher. Lokal erzeugte Überschüsse werden in das öffentliche Netz eingespeist und vergütet. Für den vor Ort erzeugten und direkt verbrauchten PV-Stromanteil kann gemäß des „Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom“ ein Zuschlag von derzeit 2,1 ct/kWh bis 3,7 ct/kWh beantragt werden.
Janika Kemmerer (Energieheld): Für wen sind Mieterstromprojekte denn interessant?
Michael Knoop (ISFH): Die Umsetzung von Mieterstromprojekten ist vor allem für Stadtwerke und Ökostromanbieter interessant. Diese Akteure der Energiewirtschaft sind mit einzuhaltenden Standards, Meldepflichten und Vermarktungsstrukturen vertraut und können daher vorhandene technische und rechtliche Hürden handhaben. Aber auch Wohnungsgenossenschaften und Immobilieneigentümer, die viele größere Wohngebäude besitzen, könnten sich das erforderliche Knowhow aneignen und benötigte Service- und Vertriebs-Strukturen aufbauen. Im Vergleich zu den Energieversorgern müssen die Besitzer keine Pachtgebühren für Dachflächen oder technische Betriebsräume kalkulieren. Da Immobilienunternehmen allerdings der Wegfall von Gewerbesteuerkürzungen droht, werden diese voraussichtlich eher Subunternehmen für den Betrieb von Mieterstromprojekten gründen. Für Privatpersonen mit wenigen, kleinen Mehrfamilienhäusern ist die direkte Versorgung ihrer Mieter mit viel Aufwand verbunden, der die Wirtschaftlichkeit von Projekten stark gefährdet.
Janika Kemmerer (Energieheld): Wo liegen die Vorteile für Vermieter und Mieter?
Michael Knoop (ISFH): Ein Vermieter kann seine Dachflächen und ggf. weitere Räume an einen externen Anlagenbetreiber verpachten oder auch selber zum Mieterstromanbieter werden und von den Gewinnmargen beim Stromverkauf profitieren. Da jeder Mieter seinen Stromversorger frei wählen kann, ist der Mieterstromanbieter gezwungen, seinen lokal erzeugten Strom günstig anzubieten. Will er den eingeführten Mieterstrom-Zuschlag erhalten, darf der lokal erzeugte PV-Strom maximal zu 90% des Grundversorgertarifes weiterverkauft werden. Der Mieter erhält dadurch eine Möglichkeit, an der Energiewende zu günstigen Konditionen zu partizipieren.
Janika Kemmerer (Energieheld): Eine neue PV-Anlage ist teuer und der bürokratische Aufwand für Mieterstrom erstmal nervig – gibt es Förderungen, die einen Umstieg erleichtern?
Michael Knoop (ISFH): Eine direkte Förderung für die Installation einer PV-Anlage auf Mehrfamilienhäusern gibt es derzeit auf Bundesebene leider nicht. Gefördert wird dagegen die eingespeiste elektrische Energie (gemäß Einspeisevergütung) oder direktvermarkteter Mieterstrom, wie erklärt. Einzelne Bundesländer und Stromanbieter bezuschussen hingegen bereits auch die Errichtung einer PV-Anlage. Im Falle einer Mieterstromversorgung hat der Betreiber der PV-Anlage zudem die Möglichkeit, sich die Vorsteuer erstatten zu lassen und kann dann mit Netto-Investitionspreisen kalkulieren. Zusätzlich kann jeder Investor in Deutschland auf zinsgünstige Kredite der KfW-Bank zurückgreifen.
Lohnt sich das? Mit dem Mieterstrom-Tool Kosten und Nutzen berechnen
Janika Kemmerer (Energieheld): Worauf müssen Hausbesitzer und die Bewohner unbedingt achten, bevor sie ein Mieterstromprojekt beginnen?
Michael Knoop (ISFH): Die Planung von Mieterstromprojekten muss stets an die lokalen Gegebenheiten individuell angepasst werden. Je nach Gebäude und Akteur können eine Vielzahl von Parametern die Umsetzungsprozesse sowie die Rentabilität beeinflussen. Einen guten Überblick über zu beachtende rechtliche, technische und wirtschaftliche Aspekte liefert hier der vom BSW veröffentlichte 52-seitige Leitfaden für Geschäftsmodelle mit PV-Mieterstrom. (Für Interessenten, die erstmalig ein Mieterstromprojekt planen, empfiehlt sich eine Kooperation mit einem erfahrenen Anbieter.)
Janika Kemmerer (Energieheld): Das sind relativ komplizierte Prozesse, wenn man einfach nur den selbst produzierten Ökostrom vor Ort anbieten möchte. Wie genau kann ihr Mieterstrom-Tool da helfen?
Michael Knoop (ISFH): Das entwickelte Tool bietet eine Hilfestellung zur Auslegung und Bewertung von Mieterstromprojekten. Es ermöglicht jedem Interessenten die individuelle Gestaltung verschiedener, multivalenter Versorgungslösungen für sein Gebäude. Hierfür müssen zunächst die Versorgungskomponenten zur Lieferung von lokalem Strom und Wärme ebenso wie Jahresverbrauchswerte der Mieter, Standort spezifische Rahmenbedingungen und Abrechnungsmodalitäten spezifiziert werden. Basierend auf den Eingaben, im Programm hinterlegten meteorologischen Profilen und benutzerspezifischen elektrischen Lastprofilen erfolgt in stündlich aufgelösten Jahressimulationen eine energetische Bilanzierung aller Leistungsflüsse im Gebäude. Anhand berechneter Projektkenngrößen (Strom-Direktverbrauch, -Einspeisung und -Restbezug) erfolgt anschließend die ökologische und ökonomische Bewertung des Gebäude-Versorgungskonzepts. Interessierte Personen und Unternehmen haben durch das Tool somit die Chance im Vorfeld einer Investition, diese zu bewerten und ggf. das Versorgungskonzept zu optimieren.
Janika Kemmerer (Energieheld): Hat somit jeder interessierte Hausbesitzer die Möglichkeit, ein Mieterstromprojekt vorab durchzurechnen?
Michael Knoop (ISFH): Sofern er die versorgungsspezifischen Konditionen, Strom- und Wärmeverbräuche im Gebäude, den Aufwand für Abrechnung und Vertragsgestaltung sowie die Kosten der gewünschten Versorgungskomponenten abschätzen kann – Ja. Das Tool kann kostenfrei von der ISFH Homepage (https://isfh.de/tools/mieterstrom) heruntergeladen werden und wurde in Microsoft Excel umgesetzt.
Was kann Mieterstrom im Kampf gegen den Klimawandel bewirken?
Janika Kemmerer (Energieheld): Das Bundeswirtschaftsministerium bezeichnet Mieterstrom als „Energiewende im eigenen Haus“. Wie groß kann denn der Effekt von Mieterstromprojekten auf die Reduzierung der CO2-Emmissionen sein?
Michael Knoop (ISFH): Der Effekt hängt sehr stark von den spezifischen Emissionen des Netz-Stromes und der Gestaltung der einzelnen Mieterstromprojekte ab. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen erzielen durchschnittliche Mieterstrom-Projekte mit PV-Anlage, wie auch Strom-Wärme-gekoppelte Versorgungskonzepte mit zusätzlichem Blockheizkraftwerk oder Wärmepumpe, CO2-Einsparungen von 30% bis 50% für die bereitgestellte Energie im Vergleich zu herkömmlichen Versorgungen (100% Netzstrom, Heizwärme und Trinkwarmwasser durch Gastherme). Die CO2-Emssion für das eigene Gebäude kann ebenfalls mit dem Tool berechnet werden.
Janika Kemmerer (Energieheld): Was müsste sich ändern, damit noch viel mehr Verbraucher einfach Mieterstrom für ihren Energieverbrauch nutzen können?
Michael Knoop (ISFH): Die Vielzahl gesetzlicher Regularien sollte vereinfacht und deutlich reduziert werden. Nur wenn Installateure und interessierte Investoren die entstehenden Verpflichtungen und die Einordnung der Versorgung / Abrechnung verstehen, werden Sie Projekte anstreben und diese selbst weiter bewerben.
Die Zukunft des Klimaschutz – und was heute schon möglich ist
Janika Kemmerer (Energieheld): Herr Knoop, was denken Sie, wohin sich Technologien und Trends der erneuerbaren Energien in Zukunft entwickeln werden?
Michael Knoop (ISFH): Die wesentlichen Technologien für eine erfolgreich zu gestaltende Energiewende stehen mit kostengünstigen, effizienten und langlebigen Komponenten (Solar-Anlagen, Windkraft-Anlagen, Batteriespeichern, Wärmepumpen…) bereits heute zur Verfügung. Deren stetige Weiterentwicklung und Optimierung sowie die Entwicklung von optimalen Regelungskonzepten zur Systemintegration sind wichtige Aspekte der laufenden Forschungsarbeiten zum Thema. Vor allem die intelligente Kopplung des regenerativen Stromdargebotes mit dem Bedarf von Kälte und Wärme unter Berücksichtigung von Wärmepumpen und der Elektromobilität bietet hierzu viele interessante Ansätze.
Janika Kemmerer (Energieheld): Was wünschen Sie sich von der Politik, um endlich die CO2-Emmissionen langfristig zu reduzieren?
Michael Knoop (ISFH): Das EEG müsste angepasst und deutlich vereinfacht werden, damit es wieder eine anreizende Funktion und keine abschreckende Wirkung auf Investitionen in Erneuerbare Energien ausübt. Zudem sollten die im EEG verankerten Ausbauziele für Windkraft- und Photovoltaikanlagen den Zielen des Pariser-Klimaabkommens gerecht werden und deutlich erhöht werden. Klimaschädliche Kohlekraftwerke sollten und könnten somit schnellstmöglich abgeschaltet werden. Ein weiterer sinnvoller Ansatz wäre meiner Meinung nach die Besteuerung von CO2-Emissionen.
Janika Kemmerer (Energieheld): Welche praktischen Tipps können Sie durchschnittlichen Verbrauchen geben, die klimafreundlicher leben möchten? Wo setzen Sie persönlich an?
Michael Knoop (ISFH): Jeder, der die Möglichkeit und die Mittel hat, sollte überlegen, in die Erzeugung von PV-Strom zu investieren. Bei der aktuellen Einspeisevergütung und den derzeitigen Systempreisen lohnt sich diese Investition und jede Kilowattstunde Ökostrom verdrängt die noch am Netz angeschlossenen klimaschädlichen Kohlekraftwerke. Auf der anderen Seite sollte jeder darauf achten unnützen Stromverbrauch und Heizbedarf in seiner Wohnung zu reduzieren. Steuerbare Thermostate an Heizungen und schaltbare Steckdosen bieten hier eine einfache, aber sehr wirkungsvolle Möglichkeit der Verbrauchssenkung. Zudem bieten im Alltag öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad eine umweltfreundliche Alternative zum Auto. Und es ist zwingend erforderlich, dass wir uns von der Wegwerfgesellschaft, in der alle 2 Jahre das Handy gewechselt wird, hin zu einer Gesellschaft mit bewusstem Konsum entwickeln. Hier kann jeder selbst Einfluss nehmen, denn nur bei einem ressourcenschonenden Umgang mit Energie und Rohstoffen kann der Klimawandel erfolgreich gestoppt werden.
Janika Kemmerer (Energieheld): Lieber Herr Knoop, herzlichen Dank für das spannende Gespräch!
Fazit: Potential von Mieterstrom noch besser nutzen
Der Ansatz von Mieterstromprojekten, den Ökostrom einfach vor Ort zu produzieren und an alle Hausbewohner zu verkaufen, ist ein sehr sinnvoller. Herr Knoop geht im Interview auch darauf ein, dass die Umsetzung für Investoren und Vermieter noch sehr kompliziert ist. So wird das Potential des Mieterstroms leider noch nicht optimal ausgenutzt und zu wenig Anreize geschaffen. Eine Möglichkeit wäre, den Mieterstrom von der EEG-Umlage zu befreien, damit er günstiger wird als die Konkurrenz der großen Energieunternehmen.
Wer die Energiewende also selbst in die Hand nehmen will, hat mit Mieterstrom eine gute Möglichkeit dazu. Um allerdings langfristig die CO2-bedingte Klimaerwärmung zu stoppen, ist der endgültige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vermutlich unumgänglich.