Claudia Kemfert: Deutsches Institut Für Wirtschaftsforschung (DIW)

Interview : Dr. Claudia Kemfert (DIW)

In der Blog-Reihe energieheld fragt – Experten antworten, interviewt energieheld regelmäßig Experten aus den verschiedensten Bereichen.

Diverse wichtige Punkte zur Technik, zum alltäglichen Umgang mit Energie oder zur aktuellen energiepolitischen Lage werden angesprochen. Anschließend wird ein Ausblick auf Trends sowie Tipps, wie im Alltag etwas für die Umwelt getan werden kann gegeben. In der Reihe kommen Blogger, Politiker, Unternehmen, Prominente und viele mehr zu Wort.

Zu Gast: Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert

Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Von 2004 bis 2009 hatte sie die Professur für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität Berlin inne und ist seit April 2009 an der Hertie School of Governance, wo Frau Dr. Kemfert die Professur für Energiewirtschaft und Nachhaltigkeit inne hat.
Parallel dazu ist sie als Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig. Frau Dr. Kemfert wurde 2011 mit der Urania Medaille sowie dem B.A.U.M. Umweltpreis in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Im Anschluss daran folgte ihre Aufnahme in den Club of Rome. Sie veröffentlicht regelmäßig in Fachzeitschriften, Büchern und in der Tagespresse. 2013 erschien ihr Buch „Kampf um Strom – Mythen, Macht und Monopole“.


energieheld: Guten Tag Frau Prof. Dr. Kemfert, schön dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.

Thema: Energiewende

„Die hoch bezahlten PR Agenturen machen gute Arbeit: die Energiewende verliert an Akzeptanz.“

energieheld: Frau Prof. Dr. Kemfert, die Energiewende ist ein Thema, dass medial viel Aufmerksamkeit erfährt und für Diskussionen sorgt. Wer hat momentan die besseren Argumente: die Skeptiker oder die Befürworter der Energiewende? Was sagt die „Erklärerin des ökonomischen und ökologischen Jahrhundertprojekts“ (Zeit, 39/2013)?

Claudia KemfertDie besseren Argumente haben ja seit jeher die Befürworter der Energiewende! Ob diese allerdings das notwenige Gehör finden, ist derzeit fraglich, da die Skeptiker die Energiewende immer wieder ihre Parolen wie Graffities an die Wände der Städte sprühen, wie ich in meinem Buch „Kampf um Strom“ ausführlich darlege. Die hoch bezahlten PR Agenturen machen gute Arbeit: die Energiewende verliert an Akzeptanz. Das ist bedauerlich, da es viele positive Entwicklungen der Energiewende gibt und viele wirtschaftliche Chancen. Beispielsweise sind schon über 300.000 Beschäftigte im Bereich der erneuerbaren Energien entstanden, ein weiterer Wachstumsmarkt ist der Markt der Energieeffizienz. Der sparsame Einsatz von Energie senkt zudem die Kosten. Investitionen in die Energiewende schaffen Arbeitsplätze und führen zu Wettbewerbsvorteilen.

energieheld: Wo stehen wir bei der Energiewende zurzeit? In welchen Bereichen ist die Energiewende auf einem guten Weg und in welchen Bereichen gibt es noch Verbesserungsbedarf?

Claudia Kemfert: Die Energiewende in Deutschland steht noch am Anfang. Zwar ist der Anteil der erneuerbaren Energien mittlerweile auf über 25 % an der Stromerzeugung gestiegen, doch Energie bedeutet mehr als nur Strom. Wir benötigen ebenso eine nachhaltige Wärme- und Verkehrswende . Sowohl bei der Stromwende ist noch ein langer Weg zu gehen, als auch im Bereich der Wärme- und Verkehrswende . Insbesondere im Bereich des Energiesparens kann sehr viel mehr getan werden. Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt ca. 3-5 % seiner Ausgaben für Strom, aber bis zu 30 % für das Heizen und die Mobilität. Umso wichtiger ist es die Energiewende als Ganzes zu begreifen, mehr zu tun, um Energie einzusparen und den Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent voranzubringen.

Thema: Co2 Emission

„Die Klimaschutzerfolge sind in den Bereichen der Gebäudeenergie und Mobilität eher als bescheiden bzw. gar nicht existent zu werten.“

energieheld: Wie stehen die deutschen Bemühungen in Sachen Reduzierung der Co2 Emission im internationalen Vergleich? Ist Deutschland – wie gerne behauptet wird – ein internationaler Vorreiter?

Claudia Kemfert: Im Vergleich zu 1990 sind die Emissionen in Deutschland schon um knapp 24 % gesunken. Somit hat Deutschland die vereinbarten Ziele von -21 % bis zum Jahre 2020 bereits übererfüllt. Sicherlich profitiert Deutschland von der deutschen Wiedervereinigung und der damit verbundenen Modernisierung vieler Energie- und Industriebereiche im Osten Deutschlands. Doch auch die Zunahme des Anteils erneuerbarer Energien hat zur Senkung der Emissionen beigetragen. Allerdings ist der Anteil von Kohlestrom nicht so stark gesunken, dass die Emissionen im Stromsektor weiter abnehmen. Zudem sind die Klimaschutzerfolge in den Bereichen der Gebäudeenergie und Mobilität eher als bescheiden bzw. gar nicht existent zu werten. Somit wird Deutschland die selbstgesteckten Ziele von -40 % bis zum Jahre 2020 wohl kaum erreichen können. Dennoch steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nicht schlecht da, andere Industrienationen wie beispielsweise die USA haben die Treibhausgase kaum senken können.

Thema: energieintensive Unternehmen

„Ich würde mir von den Unternehmen eine ehrlichere und transparente Debatte über Energiekosten wünschen.“

energieheld: Laut IHK Energiewende Barometer überwiegt bei den Unternehmen weiterhin Skepsis und nur 16 Prozent schätzen die Auswirkungen der Energiewende auf ihre Wettbewerbsfähigkeit positiv ein. Wie kann die deutsche Wirtschaft die Chancen der Energiewende besser realisieren?

Claudia Kemfert: Viele Unternehmen profitieren schon heute von der Energiewende, im Übrigen auch die klassische Industrieunternehmen, wie beispielsweise Stahlhersteller bei der Herstellung von Windflügeln oder die Chemiebranche bei der Herstellung von Leichtbaustoffen für die Verbesserung der Energieeffizienz. Insbesondere im Bereich der Verbesserung der Energieeffizienz gibt es einen gigantischen Markt. Investitionen in Klimaschutz schaffen Arbeitsplätze. Die Verbesserung der Energieeffizienz reduziert Energiekosten, stärkt somit die Wettbewerbsfähigkeit.

energieheld: Sie schrieben in der Süddeutschen Zeitung, dass einzelne energieintensive Unternehmen meist hohe Energiekosten aufweisen, aber gerade diese Unternehmen sind von nahezu allen politisch motivierten Zahlungen ausgenommen (z. B. Ökosteuer, EEG). Und sie profitieren von den niedrigen Strompreisen an der Börse. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um Unternehmen wie z. B. die BASF mit ins Energiewende Boot zu nehmen? Sind hierbei weitere Zugeständnisse an Unternehmen, bei der Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung zu „wettbewerbsfähigen“ Preisen, sinnvoll?

Claudia Kemfert: Es geht vor allem um Kosten, nicht um Preise: je energieeffizienter ein Unternehmen ist, desto geringer die Kosten. Der Wettbewerbsvorteil ist umso größer, je effizienter ein Unternehmen mit Energie umgeht. Energieintensive Branchen sind zu Recht von Belastungen ausgenommen. Ich sehe keine Notwendigkeit, darüber hinaus weitere Zugeständnisse zu gewähren. Die wahren Kostenbelastungen entstehen in erster Linie aufgrund steigender Öl- und Gaspreise. Daher ist es so wichtig, das Energiesparen in den Vordergrund zu rücken. Hier können die Unternehmen einen wertvollen Beitrag leisten. Ich würde mir von den Unternehmen eine ehrlichere und transparente Debatte über Energiekosten wünschen.

Thema: Bürger-Engagement

„Es ist wichtig, dass über die positiven Entwicklungen gesprochen wird, zudem die Chancen viel mehr als bisher in den Vordergrund gerückt werden.“

energieheld: Von Unternehmen zum einzelnen Bürger. Sie erhielten 2011 die Urania-Medaille. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Bildung für alle Bürger zu vermitteln – Wie kann das Thema der Energiewende den Bürgern interessant und ausgewogen näher gebracht werden?

Claudia KemfertVor allem sollte viel mehr über die Chancen der Energiewende gesprochen werden, die Vorteile kommuniziert werden und für das Projekt geworben werden. Leider hören die Bürger täglich angebliche negative Entwicklungen der Energiewende. Meine Erfahrungen bei Vorträgen in Deutschland zeigt, dass es viele Bürger gibt, die sehr großes Interesse an der Energiewende haben, immer mehr Bürger engagieren sich für die Energiewende, die Zahl der Bürgerenergiegenossenschaften steigt immer weiter an. Es ist wichtig, dass über die positiven Entwicklungen gesprochen wird, zudem die Chancen viel mehr als bisher in den Vordergrund gerückt werden.

energieheld: Können Sie uns sagen, wie Ihre Arbeit im Club of Rome aussieht? Welche Impulse können Sie gerade im Hinblick auf die letzte Frage setzen und welche praktischen Initiativen können Sie fördern?

Claudia Kemfert: Der Club of Rome setzt sich seit Jahrzehnten für die Nachhaltigkeit ein. Im Rahmen von unterschiedlichen Veranstaltungen und Netzwerktreffen wird beispielsweise über den Chancen des Klimaschutzes gesprochen. Die deutsche Gesellschaft des Club of Rome setzt sich zudem intensiv mit dem Ausbau erneuerbarer Energien in Nordafrika oder der Einrichtung eines globalen Marshallplans für mehr Nachhaltigkeit ein, zudem werden Schulprojekte unter dem Leitmotiv „Global denken, lokal handeln“ unterstützt. Diese wertvollen Projekte zeigen deutlich, wie wichtig die Vernetzung für mehr Nachhaltigkeit ist. Daher unterstütze ich den Club of Rome sehr gern.

Thema: Energiewende im Wärmesektor

„Ein Großteil der Ausgaben der privaten Haushalte wird fürs heizen verschwendet, es ist fast zur „zweiten Miete“ geworden.“

energieheld: Stichwort öffentliche Kommunikation. Das Thema Energiewende im Wärmesektor führt, im Vergleich zur regenerativen Stromerzeugung oder Elektromobilität, ein Schattendasein in den Medien.
Wie kann daran etwas verändert werden, d. h. wie kann die Energiewende im Wärmesektor zu einem Thema von öffentlichem Interesse, ja sogar “sexy” werden?

Claudia Kemfert: Indem vor allem über die Vorteile gesprochen werden: Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt ca. 3-5 % seiner Ausgaben für Strom, aber bis zu 30 % für das Heizen und Mobilität. Es können somit enorme Energiekosten eingespart werden. Viele sorgen sich vor weiteren geopolitischen Krisen. Aus Russland importieren wir beispielsweise in erster Linie Öl und Gas, beides wird vornehmlich im Bereich der Gebäudeenergie und der Mobilität eingesetzt. Somit kann es nur vorteilhaft sein, künftig eine konsequente Wärme- und Mobilitätswende durchzuführen.

energieheld: In diesem Zusammenhang, welche Rolle spielt die energetische Sanierung von Eigenheimen?

Claudia Kemfert: Eine große, denn fast 40 % des Endenergieverbrauchs fällen auf den Gebäudebereich. Ein Großteil der Ausgaben der privaten Haushalte wird fürs heizen verschwendet, es ist fast zur „zweiten Miete“ geworden. Daher sollte viel stärker als bisher auf die konsequente Umsetzung der energetischen Sanierung von Gebäuden gesetzt werden, durch weitere gesetzliche Vorgaben, steuerliche Vorteile und direkte finanzielle Unterstützung.

Thema: Energetische Gebäudesanierung

„Studien belegen, dass es einige Hemmnisse gibt, wie vor allem die fehlende Markttransparenz, unzureichende Information sowie die nicht ausreichende Schulung von zentralen Akteuren“

energieheld: In Ihrer wissenschaftlichen Karriere haben Sie sich ausführlich mit den Kosten des Klimawandels auseinandergesetzt. Die Quote für energetische Gebäudesanierungen in Deutschland liegt zurzeit bei 0,8%, die Bundesregierung hat sich eine 2% Quote gesetzt. Welchen Kosten kommen auf den Bürger zu, wenn wir diese gesetzte Sanierungsquote erfüllen wollen?

Claudia Kemfert: Es geht vor allem darum, dass im Zuge der ohnehin fälligen Renovierungen die energetische Sanierung stärker zu berücksichtigen. Studien des DIW zeigen, dass die jährlichen Investitionen in der Höhe von 6 bis maximal 13 Mrd. Euro pro Jahr erhebliche Energiekosten eingespart werden können. Durch die Investitionen von 11 Mrd. Euro im Jahre 2020 können Energiekosten von 9 Mrd. Euro eingespart werden. Diese Investitionen schaffen Wertschöpfung und Arbeitsplätze, vor allem regionale Unternehmen wie Bauunternehmen, Handwerker oder Gebäudeplaner profitieren. Somit handelt es sich um volkswirtschaftlich lohnende und nachhaltige Investitionen.

energieheld: Welche politischen Anreize würden Sie sich wünschen, um die angestrebte Sanierungsquote zu erreichen? Reicht das aktuelle Programm der Bundesregierung aus Immobilienbesitzer zu motivieren, ihre Bestandsgebäude zu sanieren?

Claudia Kemfert: Studien belegen, dass es einige Hemmnisse gibt, wie vor allem die fehlende Markttransparenz, unzureichende Information sowie die nicht ausreichende Schulung von zentralen Akteuren. Oftmals fehlt es an der Fachqualifikation für energieeffizientes Bauen. Zudem handelt es sich häufig um sehr komplexe Sanierungsvorhaben, die Zuverlässigkeit der Resultate ist nicht immer gegeben. Somit schwindet das Vertrauen der Sanierungswilligen. Zudem müssen die finanziellen Bedingungen über die Möglichkeit von verstärkten steuerlichen Abschreibungen sowie und finanzieller Unterstützung verbessert werden.

energieheld: Was wäre, wenn Deutschland die bereits gezahlten Kosten (ca. 50 Mrd. €) der Energiewende in Haussanierungen gesteckt hätte – wären wir dann den CO2 Zielen nicht bedeutend näher und hätten noch stärker die regionale Wirtschaft (das Handwerk) gestärkt?

Claudia Kemfert: Man sollte die Investitionen nicht gegeneinander ausspielen, da wir neben der Stromwende ja eine Verkehrs- und Mobilitätswende benötigen. Auch im Bereich der erneuerbaren Energien wurden viele Arbeitsplätze, gerade in Deutschland, geschaffen. Die Investitionen in die Gebäudesanierung sind ebenso lohnend: sie schaffen Wertschöpfung und Arbeitsplätze, vor allem regionale Unternehmen wie Bauunternehmen, Handwerker oder Gebäudeplaner können profitieren.

Thema: Technologieoffenheit

„Das EEG ist ja keine Dauersubventionierung, sondern führt Technologien zur Marktreife. Es ist es marktwirtschaftlich gesehen somit ein voller Erfolg.“

energieheld: Stichwort Technologieoffenheit. Unter Volkswirten, die eine Marktwirtschaft befürworten, gilt es als besonders effizient, Ziele mittels technologieoffenen Maßnahmen zu erreichen. Wurde diese Grundregel der Marktwirtschaft nicht durch das EEG komplett ausgehebelt?

Claudia Kemfert: Grundsätzlich kann man die Einführung neuer Technologien unterschiedlich fördern, vor allem wird in diesem Zusammenhang häufig das Quotenmodell erwähnt, welches angeblich anders als das EEG rein marktwirtschaftliche Lösungen hervorbringt. Ein Mythos, wie man in England und Schweden ablesen kann: weder wird kostengünstig, noch wird technologieoffen gefördert. In England beispielsweise hat das Quotenmodell zu erheblichen Kostensteigerungen beigetragen, zudem wurde ausschließlich in Offshore Windenergie investiert. Aus diesem Grund schwenkt nun auch England um auf ein EEG ähnliches Fördersystem. Das EEG bietet volle Kostenkontrolle, die Vergütungssätze werden mit den Kostensenkungen vermindert. So ist es auch in Deutschland passiert. Anders als oftmals behauptet, sind die Kosten durch die Förderung über das EEG drastisch gesunken, zudem führen Innovationen zu weiteren Kostensenkungen. Das EEG ist ja keine Dauersubventionierung, sondern führt Technologien zur Marktreife. Es ist es marktwirtschaftlich gesehen somit ein voller Erfolg.

Thema: Die EnergieVerbrauchsWende

„Die Antwort auf die geopolitischen Krisen kann nur heißen, konsequent mehr auf das Energiesparen und die Verbesserung der Energieeffizienz zu setzen.“

energieheld: Müsste man nicht viel eher von einer EnergieVerbrauchsWende (EVW) sprechen als von einer Energiewende, die sich stark auf die ERZEUGUNG von (elektrischer) Energie bezieht? Die Reduktion des Energie-Verbrauches hat doch den deutlich größeren Hebel als die alternative Herstellung von (elektrischer) Energie?

Claudia Kemfert: Leider ist die derzeitige Energiewende eine reine „Strom- Angebots-Wende“, d.h. es wird in der Tat viel zu wenig auf die Verbesserung der Energieeffizienz und der Einbindung einer klugen Steuerung der Nachfrageseite geschaut.

energieheld: Aktuell ist das Thema “Energieabhängigkeit” wieder sehr aktuell durch die Situation in Russland und im Nahen Osten. Der Westen ist in seinem Handlungsspielraum durch die starke Energieabhängigkeit extrem eingeschränkt. Wie würden Sie den monetären Nutzen von “Rohstoffunabhängigkeit” einschätzen? Ist dieser Wert nicht wesentlich höher als die Kosten für die Energie(verbrauchs)wende?

Claudia Kemfert: Die Antwort auf die geopolitischen Krisen kann nur heißen, konsequent mehr auf das Energiesparen und die Verbesserung der Energieeffizienz zu setzen. Aus Russland importieren wir beispielsweise in erster Linie Öl und Gas, beides wird vornehmlich im Bereich der Gebäudeenergie und der Mobilität eingesetzt. Somit kann es nur vorteilhaft sein, künftig eine konsequente Wärme- und Mobilitätswende durchzuführen.

Thema: Photovoltaik

„Es ist bedauerlich, dass die negativ geführte Kampagne gegen die Energiewende vor allem dazu geführt hat, dass die Nachfrage nach Solaranlagen in Deutschland weiter sinkt, und dass obwohl sie sich auch heute wirtschaftlich lohnen.“

energieheld: Frau Kemfert, wie wäre der Stand der Energiewende jetzt, wenn man mit der Förderung von Photovoltaik 6-7 Jahre gewartet hätte, und größere Photovoltaik-Zubauraten erst dann realisiert hätte, wenn der Photovoltaik-Anlagen-Preis so niedrig ist, dass man Einspeisevergütungen unterhalb von 20 Cent / kWh liegt?

Claudia Kemfert: Ohne die Förderung wäre man nicht bei derart niedrigen Einspeisevergütungen, da die Kosten nicht so rasant gesunken wären. In nicht allzu ferner Zukunft lohnen sich glücklicherweise die PV Anlagen ganz ohne Förderung.

energieheld: China baut aus starkem Eigeninteresse und Aufgrund der generell steigenden Nachfrage nach Photovoltaik-Anlagen die Produktionskapazitäten aus, so dass die Photovoltaik-Modulpreise stark fallen. Hätte dies nicht ein Politiker oder Wissenschaftler voraussehen müssen und so dem deutschen Steuerzahler 100-150 Mrd. € ersparen können, bei identischer installierter Photovoltaik-Leistung in Deutschland?

Claudia Kemfert: Es sind Investoren und Stromkunden, die in Deutschland die Energiewende finanzieren. Im Übrigen mit durchaus geringeren Beträgen. In China werden die Solarunternehmen ebenso, und auch weiterhin massiv subventioniert. Ohne Deutschland als Vorreiter hätte man in China nicht derart viele Solarmodule gebaut. Die Kostenreduktion ist vorteilhaft, da sich die PV Anlagen in naher Zukunft auch ohne Subventionen rechnen werden. Es ist bedauerlich, dass die negativ geführte Kampagne gegen die Energiewende vor allem dazu geführt hat, dass die Nachfrage nach Solaranlagen in Deutschland weiter sinkt, und dass obwohl sie sich auch heute wirtschaftlich lohnen. Die Politik in Deutschland hätte nicht tatenlos zuschauen sollen, dass man China den Markt allein überlässt.

energieheld: Hat Deutschland den weltweiten Photovoltaik-Ausbau mit 100-200 Mrd. € – die der deutsche Steuerzahler bezahlt hat und bezahlen wird – ins Rollen gebracht?

Claudia Kemfert: Diese Investitionen haben Wettbewerber angelockt, aber auch zu erheblichen Kostensenkungen geführt, zudem Arbeitsplätze und weitere Wertschöpfung in Deutschland hervorgebracht. Man sollte auch weiterhin auf die wirtschaftlichen Vorteile der Energiewende setzen. In vielen Teilen der Welt rechnet sich heute eine Solaranlage, sogar in einkommensschwachen Regionen, in Regionen ohne Zugang zum Stromnetz. Deutschland hat dazu beigetragen, dass all dies möglich wird. Wie Jeff Sachs kürzlich in Berlin sagte: darauf sollten die Deutschen stolz sein. Recht hat er.

energieheld: Liebe Frau Kemfert, vielen Dank für das Gespräch!

energieheld fragt experten antworten

Liebe LeserInnen,

nach diesem ausführlichen Gespräch mit Frau Prof. Dr. Kemfert wissen wir vorallem eins: Bei der Energiewende gibt es immer zwei Wahrheiten. Es gibt die Meinung der Skeptiker und der Befürworter der Energiewende, wobei es im Interesse der Bürger wäre, eine ausgeglichene Kommunikation zu fördern. Hier wäre eine Idee, zu kommunizieren welche Möglichkeiten die Energiewende bietet, z. B. 300.000 neue Arbeitsplätze.

Trotz großer Fortschritte liegt der Anteil an Erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung erst bei 25%, bis 2050 sollen es 80% sein. Bei der Energiewende, vor allem bei der energetischen Gebäudesanierung, stellt die nicht ausreichende Kenntnis und Motivation der Bürger ein gewichtiges Problem dar. Hier setzt das Modell von energieheld an, mit ausführlichen Informationen und einem qualifizierten Handwerksfachpartner-Netzwerk. Das Netzwerk setzt energetische Sanierungen schnell, unkompliziert und qualifiziert  um. Durch die energetische Gebäudesanierung  können so bis 2020 Energiekosten in Höhe von 9 Mrd. Euro eingespart werden. Für die Umsetzung der  Energiewende müssen alle an einem Strang ziehen: Bürger und  Unternehmen.

Wir empfehlen auf die wirtschaftlichen Vorteile der Energiewende zu setzen, denn vor allem in der Gebäudesanierung steckt noch viel Potential. Hier gilt es individuelle Lösungen für den Einzelnen zu finden. Nur so kann der Bürger ins Energiewende-Boot geholt werden und ein Wandel gelingen!

Bildquelle:
Titelbild: Von Claudia Kemfert, bzw. dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) für dieses Interview zur Verfügung gestellt © F. J. Schenk

Stephan Thies

"Für eine erfolgreiche Energie- und Wärmewende ist eine realistische und unabhängige Informationsbereitstellung wichtig. Bei Energieheld ist dies unser tägliches Bestreben."

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Jeffrey Michel

    Deutschland hat keinesfalls seine ursprünglichen CO2-Mindersziele erreicht, die am 07.11.1990 von der Bundesregierung wie folgt beschlossen wurden: „Ziel ist die Verringerung der CO2-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland um mehr als 25 % bis zum Jahre 2005. (…) Während für das bisherige Bundesgebiet an dem 25 % Minderungsziel festgehalten wird, soll in den neuen Bundesländern von einer deutlich höheren prozentualen CO2-Verminderung bis zum Jahre 2005 ausgegangen werden. (Die Rückführung von Kohlendioxid bezieht sich auf das Emissionsvolumen des Jahres 1987.)“ Bis 1995 waren aber 72 Prozent aller CO2-Reduzierungen von den drei ostdeutschen Bundesländern erbracht worden, in denen der stärkste Rückgang der Braunkohlenutzung erfolgt war. Hätten sich auch die USA im Jahre 1990 mit der UdSSR wiedervereinigt, wäre dort inzwischen ein ähnlicher statistischer Erfolg eingetreten. Viele CO2-intensive Produktionsprozesse sind überdies nach Asien verlagert worden, so dass der atmosphärische Quecksilberniederschlag in Nordamerika hauptsächlich aus chinesischen Kohlekraftwerken stammt. Welches gute Beispiel will da Deutschland abgeben, solange hierzulande die größten Zwangsumsiedlungen in den Braunkohlegebieten der Welt ein fester Bestandteil der Energiewende bleiben? Anstatt dabei moderne Stromzähler flächendeckend einzusetzen und monatliche Verbrauchsabrechnungen vorzunehmen, wie diese in den USA längst üblich sind, baggert man immer mal wieder ein historisches Dorf mit unersetzlichen Baudenkmälern ab. Damit lassen sich zwar Landtagswahlen gewinnen, aber keine internationale Anerkennung als technologisch überlegene Gesellschaft.

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  6. Schmidt

    Soweit mir bekannt sind es nicht 25% sondern 31% Anteil von Ökostrom!

    1. Alexander Kopeski

      Ich interessiere mich für das Thema Energieeffizienz vor allem, weil ich gerade mein Haus baue. Man soll beim eigenen Hausbau nachhaltig denken. Frau Dr. Kemfert hat vollkommen Recht, dass ein privater Haushalt viel zu viel Heizkosten hat. Man kann z.B dauerhaft Heizkosten sparen, wenn man sich bei der Dämmung der Innen- bzw. Außenfassade einen guten Spezialisten zu Rat holt und einiges darin investiert. Hierzu kann ich https://www.kemmler.de/ empfehlen, weil ich hier eine sehr gute Erfharung gemacht habe. Ein gutes Wärmedämmverbundsystem zahlt sich auf jeden Fall aus.
      Außerdem bin ich ein Befürworter der erneuerbaren Energien. Mehr Leute sollen sich trotz hoher Kosten überlegen, ob SIe nicht auf Dauer in einem Solarsystem investieren sollen.

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